Ferne Zeit, ganz nah – Flucht, Trauma und dennoch Hoffnung: „Der verlorene Bruder” nach einem Roman von Hans-Ulrich Treichel erzählt mit anmutigen Bildern und famosen Darstellern eine alte, aber leider aktuelle Geschichte.
Ein Foto von Ostpreußen. „Das ist zu Haus, für meine Mutter und meinen Vater. Für mich nicht, ich bin nie dort gewesen”, sagt die Stimme aus dem Off. Der 13-jährige Max erzählt seine Geschichte, aus dem Sommer 1960. Max hat normale Sorgen eines schmächtigen Knaben, der verliebt ist und sich gegen Halbstarke behaupten muss. Da bräuchte er nicht noch die Sorge seiner Eltern: Seit der Flucht aus der alten Heimat fehlt Arnold, Max’ großer Bruder, den er nie kennengelernt hat.
Er fehlt der Mutter so sehr, dass sie Max fast vergisst. Sie klammert sich an eine vage Hoffnung: Findelkind 2307 könnte ihr Arnold sein. Um es sehen zu dürfen, muss nun der Nachweis der Verwandtschaft erbracht werden. Max macht das Angst: Ein großer Bruder, der da ist, würde ihm noch mehr Platz rauben als einer, der vermisst wird. Also sabotiert Max die Heimkehr des “Verlorenen”.
Matti Geschonneck verfilmte Hans-Ulrich Treichels Roman „Der Verlorene”. Wo soll man mit dem Loben anfangen? Am besten beim Kleinsten: Noah Kraus spielt Max, das Kind aus ferner Zeit, glänzt als Held mit ungelenken Gliedmaßen und melancholischem Blick. Kein Wunder, dass sein Filmteam ihn feiert.
Stellvertretend der Regisseur: „Noah Kraus war für mich, für den Film, für uns alle ein Geschenk”. Auch die reiferen Gesichter passen perfekt in die 60er: Charly Hübner als leibgewordenes Wirtschaftswunder, Matthias Matschke als tapsiger Freier und Katharina Lorenz als verstörte Mutter füllen die liebevoll gestalteten Schauplätze mit Leben.
Und mit feinem Humor, der an Loriot erinnert und das traurige Thema bricht. In den Worten von Drehbuchautorin Ruth Thoma: „Wenn man eine reine Tragödie aus so einer Geschichte machen würde, in der kein Platz für Hoffnung bliebe, dann wüsste ich nicht, warum ich sie erzählen sollte”. Hoffnung bleibt also. Auch was die Aktualität des Themas angeht, die den Machern wichtig ist. Matthias Matschke etwa betont den „zutiefst gegenwärtigen Bezug”; der Film erinnere daran, „dass keiner freiwillig sein Zuhause verlässt” Auch wegen dieser Botschaft ist das Werk ein Höhepunkt des zu Ende gehenden Fernsehjahres.
Die Tragikomödie “Der verlorene Bruder” mit Katharina Lorenz kommt am Mittwoch um 20 Uhr 15 in der ARD
Auf dem Bild ist Katharina Lorenz nackt in dem Film „Das rote Zimmer” aus dem Jahr 2010 zu sehen.